Das Projekt

JEMANDSLAND – Geschichten, die Geschichten finden

Sevrina Giard & Theo Steiner

Jemandsland ist ein Projekt zur Erforschung visueller Kulturen und kultureller Atmosphären im urbanen Raum. Es ist eine Schule des Wahrnehmens und des assoziativen Denkens – und damit auch eine Übung in Kreativität.

Auf unseren Reisen in europäische Städte fotografierten wir in öffentlichen und privaten Räumen; für jede Stadt hatten wir uns gegenseitig Impulse mitgegeben, verschiedene Geschichten mit jeweils einem eigenen thematischen Fokus. Diese Impulse hatten immer mit einer Facette des Ortes zu tun: Manchmal stellten sie etwas Geschichtliches ins Zentrum oder einen Moment der Alltagskultur. Es waren visuelle Metaphern und Narrative, wie zum Beispiel: Was könnte im heutigen Athen so etwas wie ein Trojanisches Pferd sein – oder eine Sirene? Und wie sehen in Paris Situationen des ruhigen Verweilens aus – oder was sind dort Zeichen von Triumph? Solche Trigger fokussierten unsere Aufmerksamkeit und wurden damit zu Katalysatoren für den Blick.

Eine Stadt ist niemals einfach nur ein Schilderwald, der von den Einheimischen und Gästen gelesen wird. Die Menschen vor Ort lesen nicht nur die Zeichen der Stadt – sie setzen auch selbst welche – dadurch, wie sie sich anziehen; wie sie ihre Geschäfte nennen und bewerben; dadurch, was sie kaufen und wie sie sich auf den Straßen verhalten; durch die Art, wie sie sich im öffentlichen Raum für Social Media Fotos inszenieren; und natürlich auch durch eigene künstlerische Hervorbringungen wie etwa Street Art …

Als Mediengestalterin und Videokünstlerin, als Designtheoretiker und Ausstellungsmacher haben wir uns zwanzig Jahre lang mit Kommunikationsdesign und Medienprodukten beschäftigt, haben mit vorhandenen Bildern gearbeitet, über sie nachgedacht und geforscht. In diesem Rahmen haben wir immer selbst fotografiert, um Werke zu dokumentieren, Aspekte festzuhalten, aber eben auch um Inhalte und Bedeutungen zu zeigen. Und dabei haben wir gelernt, dass Bilder niemals einfach nur Anschauungsobjekte, Untersuchungsgegenstände oder Illustrationen sind. Bilder sind Welten voller Bedeutungsaspekte und Querbezüge, getränkt von gesellschaftlichen und psychischen, von wirtschaftlichen und politischen Energien. Deshalb ist es essenziell, dass visuelle Kulturen nicht nur mit und in Texten, sondern auch mit visuellen Mitteln erforscht werden. Jemandsland macht die fotografische Praxis zum integralen Bestandteil einer Untersuchung der visuellen Kulturen. Fotografie sehen wir als ein Medium, um neues Wissen und neue Überlegungen zu generieren. Die fotografische Praxis ist auch eine imaginative Handlung, die uns mit dem Leben von Unbekannten in Kontakt bringen kann.

Geschichten, die Geschichten finden – dieses Motto ist ein Plädoyer für Vielfalt und assoziativen Reichtum. Und insofern auch eine Alternative zum Städtetourismus, der mit seinen Bildern und Geschichten (etwa in thematischen Führungen) versucht, die Komplexität einer Stadt zu reduzieren. Auch wenn wir als Reisende die Situation des touristischen Blicks natürlich nie vollständig vermeiden können, so bietet uns die Jemandsland-Methode doch die Gelegenheit, uns mit verschiedenen Ebenen des städtischen Gewebes zu verbinden und persönliche Anknüpfungspunkte daran zu finden.