Fluctuat nec mergitur – es schwankt, aber geht nicht unter, das Schiff im Wappen der Stadt Paris. Was aber ist Paris für uns? Die Hauptstadt des Geistes? Der Inbegriff von Freiheit? La Ville Lumière?
Eine Frau, in die man sich verlieben soll? Und das sind bloß vier der zahlreichen Stereotypen, die beim Nachdenken über diese Stadt den Blick verstellen.
Die Haute Cuisine und die Haute Couture nicht zu vergessen! In Summe bilden die Klischees eine Lawine von hohen Sockeln. Die Stadt Paris ist ein Palimpsest aus unglaublich viel mehr Schichten, als die allerbesten Strudelbäcker:innen je zaubern könnte. Wie kommen wir ans Innere der Delikatesse? Wie bei einem Strudel – durch herzhaftes Zubeißen. Der Situationismus verleibte sich den Pariser Strudel durch absichtliches Herumirren ein. Georg Stefan Troller tat dies als Flaneur und durch seine Fotos »der kleinen, läppischen, randständigen Dinge, die es bald nicht mehr geben wird«. Vom Situationismus unterscheidet uns, dass wir unsere Aufmerksamkeit beim Streunen von einem gegebenen Triggerobjekt lenken lassen. Von Troller, dass wir uns nicht von einem nostalgischen Blick leiten lassen. Wonach aber soll man bei dieser Stadt ein Triggerobjekt auswählen?
Wie beim Situationismus geht es natürlich um einen persönlichen, subjektiven Zugang und gleichzeitig um soziokulturelle Perspektiven. Von daher kam mir immer wieder eine bestimmte Anekdote von deinem ersten Parisaufenthalt in den Sinn.
Die erste Auslandsreise nach der Wende: Paris an einem Tag, ermöglicht durch zwei Busfahrten im Dunkel der Nacht. Und nachdem du vom Laufen erschöpft warst, hast du dich einfach auf den Gehsteig gesetzt, was dein Freund damals gar nicht gutheißen konnte. Und ich habe mich gefragt, wie es mit dem Sitzen und Verweilen in der Stadt heute aussieht. Paris, la ville magnétique, ist natürlich auf den Massentourismus ausgerichtet und bietet dem zahlenden Gast eine Menge von Cafés usw. Und sie tolerierte in den letzten Jahren, zumindest eine Zeitlang, wenn Geflüchtete ein informelles Zeltlager am Canal SaintDenis einrichteten.
Doch ich frage mich, wie und wo die Stadt fürs Verweilen und für einen entspannten Aufenthalt eingerichtet ist. Auch für privilegierte Besucher:innen und Bewohner:innen zeigt Paris nach meiner Erinnerung einen erhöhten Großstadtpuls. Hier finde ich sehr treffend, was Troller von T. S. Eliot zitiert hat: »Die Hauptgefahr für Paris: dass es so anregend ist. Und wie die meisten Anregungsmittel verführt es dazu, sinnlos herumzulaufen und die angenehme Illusion großer geistiger Anstrengung zu produzieren, anstatt die greifbaren Ergebnisse harter Arbeit.«
Von daher wähle ich als Triggerobjekt für dich den Klapphocker, den du in deinem Gartenschuppen aufbewahrst. Damit er dir bei deiner Arbeit in den Straßen von Paris als Ruhepol dient.
Theo Steiner




